Der Ball ist rund​: Fußballdeutsch

    Mittel
    Deutsch perfekt 8/2024
    Fußball in einem rosa Zimmer
    © Dima Sikorski / Stocksy United
    Von Marcel Burkhardt

    Am meisten freuen sich zurzeit vielleicht die gestressten europäischen Regierungschefinnen und -chefs. Denn wieder einmal regiert König Fußball den Kontinent mit 500 Millionen Menschen. Der ist in den Nachrichten zurzeit oft etwas wichtiger als die Politik. So haben sie etwas Ruhe, während in Deutschland der europäische Volkssport Nummer eins groß inszenierenhier: ≈ eine große Show für die Medien machengroß inszeniert wird. Politische und wirtschaftliche Krisen Plạtz mạchen für …hier: ≈ nicht in den Nachrichten kommen, sodass über … berichtet werden kannmachen ein bisschen Plạtz mạchen für …hier: ≈ nicht in den Nachrichten kommen, sodass über … berichtet werden kannPlatz für die der Rasenheld, -engemeint ist hier: Mann, der Fußball spieltRasenhelden aus 24 europäischen Ländern, die sich für die die Europameister- schaft, -enTurnier europäischer NationalmannschaftenEuropameisterschaft qualifiziert haben.​

    Wenn in Deutschland wieder so ein Turnier stattfindet, dann träumen viele von einem neuen gemeint ist hier: positive Atmosphäre in Deutschland während der Weltmeisterschaft 2006das Sọmmermärchen, -Sommermärchen wie 2006: ob in Wohnzimmern, Lokalen oder auf öffentlichen Plätzen. Kaum einer will verpassen, wenn ein Thomas Müller die Pịlle ụnter die Lạtte nageln👄 den Ball mit viel Kraft ganz oben ins Tor schießendie Pille unter die Latte nagelt, ein Toni Kroos das Dịng vọn der Linie krạtzen👄 die eigene Mannschaft vor einem Tor retten, weil man den Ball kurz vor dem eigenen Tor erreicht und wegschießtdas Ding von der Linie kratzt oder Benjamin Henrichs seine der Spielzug, -ü-ehier: Aktion, bei der ein Spieler einem anderen der eigenen Mannschaft den Ball weitergibtSpielzüge kreierensich etwas absolut Neues denken; hier: dorthin laufen, wo keine Spieler des anderen Teams sind, damit es eine Torchance gibtkreiert. Ja, richtig, Chancen im Fußball werden heute nicht mehr nur herausgespielt oder herausgearbeitet wie früher. Heute kreieren die Sportler ihr Spiel wie Künstler ihre Skulpturen, Bilder oder Kompositionen. ​

    Viele Fußball-Ausdrücke sind Teil der deutschen Alltagssprache.

    Die Sprache ändert sich – auch im Fußball. Aus diesem Grund hat der der Sprachwissen- schaftler, -Person, die Sprache systematisch untersuchtSprachwissenschaftler Armin Burkhardt vor ein paar Jahren auch den No-Look-Pass in sein Wörterbuch der Fußballsprache aufnehmenhier: schreiben inaufgenommen. Der Ausdruck wurde bei deutschen Spielern und Sportreporterinnen nämlich ziemlich populär. Der No-Look-Pass beschreibt eine Aktion, bei der ein Spieler einem anderen, ohne zu ihm zu sehen, den Ball zuspielenhier: an jemanden aus dem eigenen Team weitergebenzuspielt. Oft genug sind das dann auch sogenannte tödlichso, dass jemand/etwas sterben musstödliche Pässe. Das heißt: Sie machen große Torchancen möglich. ​

    Das Fußball-Wörterbuch ist voll mit lustigen Ausdrücken. Viele davon sind Teil der deutschen Alltagssprache. Ein Beispiel: Wenn jemand einen anderen unvorbereitet überrascht, sagt man, dass er ihn auf dem falschen Fuß erwịschenjemanden entdecken, der etwas Verbotenes tut; hier auch: treffenerwischt. Oder man sagt, dass sich zwei die Bälle zuspielen. Das bedeutet, sie helfen sich gegenseitig. ​

    Über 2000 Ausdrücke hat Burkhardt gesammelt. Und es werden immer mehr. Ein wichtiger Grund: „Die Sportjournalisten wollen Fußball so kreativ und attraktivhier: interessantattraktiv wie möglich präsentierenhier: öffentlich vorstellenpräsentieren – deshalb gibt es immer wieder Innovationen.“ Beispiele: die die Rudelbildung, -envon: ein Rudel bilden = eine Gruppe von wilden Tieren machenRudelbildung (für das Zusammentreffen vieler Spielerinnen, die viel diskutieren und oft auch aggressiv sind), der die Schwạlbe, -n≈ kleiner, schwarzer Vogel; hier: Aktion, bei der man sich fallen lässt, damit es wie ein Foul aussiehtSchwalbenkönig (für einen Spieler, der sich schnell fallen lässt) oder die Minusdie Kulịsse, -nOrt, an dem ein Film spielt; hier: Stadionkulisse (für ein Stadion, in dem nur wenige Besucherinnen sitzen). 

    Gleichzeitig pflegen die der Fußballer, -👄 kurz für: Fußball- spielerFußballer aber auch ihr konventionelles Vokabular. Wenn einer gebracht wird, dann wird er nicht getragen, sondern von seiner Trainerin aufs das Spielfeld, -erPlatz, auf dem Ballspiele (z. B. Fußball, Tennis) gespielt werdenSpielfeld geschickt. Wenn einer abzieht, dann geht er nicht weg, sondern schießt hart aufs Tor. Und wenn eine ạbstaubenganz kleine, schmutzige Teile in der Luft – Staub – wegmachenabstaubt, dann macht sie keinen Putzjob, sondern einen leichten Treffer. ​

    Die Sprache des Sports spricht der Hobbyfußballer Thomas Becher nicht nur auf dem Spielfeld. Der Ingenieur benutzt Fußball-Deutsch auch am Arbeitsplatz. Zum Beispiel, um seine Kollegen zu besseren die Leistung, -enhier: Arbeit; ErfolgLeistungen zu bringen. „Ich sage ihnen dann: ‚ạnziehenhier: mehr kämpfen; schneller arbeitenZieht noch mal ạnziehenhier: mehr kämpfen; schneller arbeitenan‘“, sagt der 39-Jährige. „Das ist so ein typischer der Trainerspruch, -ü-etypischer Satz, den ein Trainer sagtTrainerspruch aus meinem Verein.“ ​

    Nicht nur in Wirtschaft und Politik gibt es extrem viele Fußball-Metaphern, sondern auch in der Kultur oder bei der Partnersuche.

    Wenn eine von Bechers Kolleginnen unfair ist, bekommt sie die gelbe Karte. Und wenn Diskussionen zu laut werden, sagt der Teamleiter: „Leute, haltet mal den Bạll flạch hạlten👄 den Ball niedrig zu jemandem aus dem eigenen Team spielen; gemeint ist auch: ruhig bleiben; vorsichtig seindie Bälle flach!“ Becher findet: „Das versteht jeder sofort.“ Auch wer Fußball nicht mag, versteht, wenn der Chef so etwas sagt: Er braucht keine „der Schönwẹtterspieler, -👄 Spieler, der nur gut ist, wenn alle Bedingungen optimal sindSchönwetterspieler“, sondern welche, die „Gras fressen“. Becher lacht und meint dann: „Gut, ‚Gras frẹssenhier: 👄 kämpfenGras fressen‘ versteht vielleicht nicht jeder sofort.“ ​

    Dass seine Teammitglieder aber auch in schwierigen Situationen „nịcht den Kọpf hängen lạssen👄 nicht traurig sein oder jede Hoffnung verlierennicht die Köpfe hängen lassen“ sollen, sondern „ạm Bạll bleiben👄 aktiv dabeibleiben und mit einer Sache weiter- machenam Ball bleiben“, das ist dem Chef wichtig. ​

    Wer Becher so hört, glaubt, er sitzt einem Fußballexperten gegenüber. Becher selbst ist sich sicher, dass er mit den Bildern aus dem Sport im Beruf bei seinen Angestellten Erfolg hat. „Man muss es nur ein bisschen dosieren(wie ein Medikament) genau die richtige Menge gebendosieren – ich springe natürlich nicht jeden Tag wie der Trainer von Mitarbeiter zu Mitarbeiter, das würde die auch nẹrven👄 stören; ärgerlich machennerven.“​

    Nicht nur in Wirtschaft und Politik gibt es extrem viele Fußball-Metaphern. Inzwischen spielen auch deutsche Orchester „in der Champions League“. Theatergruppen sind „gut aufgestellt seineine Mannschaft haben, die mit Erfolg zusammenspielt; 👄 ≈ fit sein für schwierige Aufgabengut aufgestellt“. ​

    Auch bei der Partnersuche benutzen nicht wenige die Fußballsprache. So haben Wissenschaftler der Universität Duisburg-Essen Kontaktanzeigen gefunden, in denen Sätze zu lesen waren wie dieser: „Ich möchte nicht länger auf der Resẹrvebank sịtzenauf einer Bank neben dem Spielfeld sitzen und warten, ob man spielen darf; gemeint ist hier: warten, bis man einen Partner findetauf der Reservebank sitzen.“​

    Bleibt nur zu wünschen, dass sie oder er inzwischen „ins Spiel gekommen“ ist und jetzt wirklich ein Sommermärchen erlebenhier: die Erfahrung machenerleben darf – mit Fußball in der die Nebenrolle, -nweniger wichtige RolleNebenrolle.

     

    Pfeife

    Fußball-Deutsch – ganz unsportlich​

    👄 am Ball sein 
    = aktiv sein und hạndelntun; machenhandeln können; mit einer Sache mit viel Energie weitermachen ​
    Unsere Firma ist am Ball, aber Die Konkurrẹnz schläft nịcht.hier: ≈ Die anderen Firmen handeln auch.die Konkurrenz schläft nicht. 

    👄 einen der Ạnpfiff, -ekurzer, hoher Laut, der den Beginn eines Spiels markiertAnpfiff bekommen 
    = Ärger bekommen; schịmpfenlaut sagen, dass man sich ärgertgeschimpft werden ​
    Anna hat einen ganz schönen Anpfiff bekommen, weil sie so spät nach Hause gekommen ist. 

    nach seiner/ihrer die Pfeife, -nhier: kleines Ding, mit dem man ein lautes, hohes Signal machen kannPfeife tanzen 
    = immer das tun, was ein anderer von  einem will ​
    Clara wird sofort ärgerlich, wenn nicht jeder nach ihrer Pfeife tanzt.

    im das ẠbseitsSituation gegen die Regel: Ein Spieler bekommt bei einer Attacke auf das Tor den Ball von seinem Mitspieler. Kein Spieler der anderen Mannschaft steht zwischen ihm und dem Tor.Abseits stehen 
    = ignoriert werden; keine Chance auf Erfolg haben ​
    Frank hatte nie Glück im Leben und stand immer nur im Abseits.

    ein das Heimspiel, -eSpiel auf dem eigenen SportplatzHeimspiel sein 
    = ganz einfach für eine Person sein, weil sie viel Erfahrung mit einer Sache hat und viel darüber weiß ​
    Die Prüfung war ein Heimspiel für mich, weil ich über das Thema vor Kurzem gelesen habe. 

    ein das Nachspiel, -ekurze Zeit, die noch länger gespielt werden darf, weil es während des Spiels kurze Pausen gab (z. B. wegen verletzter Spieler)Nachspiel haben 
    = noch negative Konsequenzen haben ​
    Jan hat zu dem Polizisten gesagt, dass er ein Schwein ist. Das wird ein Nachspiel haben! 

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