Warum Berlin?

    Mittel
    Deutsch perfekt 8/2018
    Strandbar Berlin-Mitte
    © Gene Glover
    Von Barbara Kerbel

    „Die perfekte Stadt für einen Neuanfang“ 

    Warum nicht etwas ganz Neues ausprobieren? Das habe ich mir gedacht, als ich 2014 mit meiner Frau nach Berlin kam. Sie ist Genetikerin und fand hier einen Job. Ich bin Psychologe, in den USA habe ich als Kindertherapeut gearbeitet. Hier wollte ich etwas anderes machen, auch wegen der Sprache. Also habe ich mein Hobby, das Bier brauen≈ Bier herstellenBierbrauen, zum Beruf gemacht. Wo, wenn nicht hier? Berlin ist die perfekte Stadt für einen Neuanfang. Wie wahrscheinlich jede Großstadt ist Berlin nicht perfekt. Aber wir fühlen uns hier sicher, unser Sohn kann ohne Angst vor die Schießerei, -enhier: Situation, in der Menschen mit Pistolen aufeinander schießenSchießereien aufwachsen. Wir leben in Pankow, im alten Ostteil der Stadt. Ich mag an Berlin, dass man die Trennung an vielen Dingen noch spürenhier: merkenspürt, zum Beispiel daran, dass es zwei Zoos gibt. Cool ist, wie viel Geld die Stadt für Kinderspielplätze ausgibt. Wir können in unserem der Kiez, -e (norddt., berlinisch)StadtteilKiez mit unserem Sohn jeden Tag woanders spielen.

     

    Robert Faber

     

     

    Robert Faber (36) kam 2014 aus den USA nach Berlin – am Tag, als Deutschland die die Fußballweltmeisterschaft, -enTreffen von vielen Fußballnationalmannschaften, die um den ersten Platz auf der Welt spielen (der Platz, Plätze: hier: Position)Fußballweltmeisterschaft gewann. Mit einem Partner führt er die Craft-Beer-Brauerei Two Fellas Brewery in Berlin-Pankow, wo er auch lebt.

     

     

    „Hier kannst du machen, was du willst“ 

    Wenn du einen Berliner nach der Uhrzeit fragst, zeigt er dir, wo die nächste Uhr hängt, und wenn du wissen willst, wann der Bus fährt, zeigt er dir den Fahrplan. Selbst wenn sie dir helfen, minimieren sie die Kommunikation. Das ungewohnt seinunbekannt und deshalb seltsam seinist ungewohnt für mich, in Israel besprechen≈ mit anderen sprechen überbesprechen wir dauernd jede die Kleinigkeit, -enunwichtige Sache; DetailKleinigkeit mit anderen. Das Leben in Berlin hat mich viel selbstständiger und unabhängiger gemacht, und ich habe gelernt, geduldighier: so, dass man ruhig warten kanngeduldig zu sein.

    Es gibt aber immer wieder Situationen, die mich völligkomplett; ganzvöllig verrückt machen, vor allem wenn ich zu tun haben mithier: Kontakt haben mitmit die Behörde, -nAmtBehörden zu tun haben mithier: Kontakt haben mitzu tun habe. Als das erste Mal die Polizei kam, weil Gäste nach 22 Uhr zu laut gelacht haben, musste ich weinen. Ich wusste nicht, dass in Deutschland wegen sowas die Polizei kommt. Trotzdem liebe ich Berlin. Hier kannst du machen, was du willst, und niemand verurteilenhier: stark kritisierenverurteilt dich.

     

    Shani Ahiel

     

     

    Shani Ahiel (32) kam 2014 aus Tel Aviv nach Berlin. 2016 hat sie ihr Lokal „Yafo“ in Berlin-Mitte eröffnenzum ersten Mal öffneneröffnet, eine Mischung aus Restaurant, Bar und Klub. Sie lebt in Berlin-Neukölln.

     

     

    „Der beste Ort, um Leute zusammenzubringen“

    Als mir mein Freund, der aus Hamburg kommt, vorgeschlagen hat, nach Berlin zu ziehen, war meine erste Reaktion: Auf gar keinen Fall! Das ist doch die hässlichste Stadt der Welt! Bis dahin war ich immer nur im Herbst und Winter in Berlin, und der Winter ist wirklich schrecklich: Es ist grau, kalt, windig und feuchtso, dass es oft regnetfeucht. Aber dann kamen wir im Sommer, und die Stadt war eine andere. Um Leute kennenzulernen, habe ich Abendessen in meiner Wohnung organisiert. Kochen ist meine große die Leidenschaft, -enhier: geliebtes HobbyLeidenschaft. Bald habe ich auch Frauen aus Syrien eingeladen, bei mir zu kochen. So wollte ich die Flüchtlingsfamilie, -nFamilie, die aus religiösen, politischen oder ethnischen Gründen aus ihrer Heimat weggegangen ist / weggehen mussteFlüchtlingsfamilien mit Berlinern zusammenbringen. Ich glaube, Berlin ist der beste Ort für so etwas. Man wird hier viel leichter akzeptiert als anderswoan anderen Ortenanderswo, man findet schnell Freunde, und die Stadt gibt dir immer wieder neue Impulse.

     

    Anna Gyulai Gaal

     

     

    Anna Gyulai Gaal (31) kam 2015 aus Budapest nach Berlin, wo sie als freie Journalistin arbeitet. Seit 2015 organisiert sie in ihrer Wohnung in Neukölln Refugee Dinner, bei denen sie Frauen aus Syrien zum Kochen einlädt.

     

     

    „Die Stadt überrascht mich immer wieder“

    Viele Touristen wollen nur Mitte sehen – sie suchen das, was sie schon kennen. Ich sage ihnen: erlebenhier: ≈ besichtigen und aktiv etwas machenErlebt doch die Stadt! Berlin ist so vielfältighier: unterschiedlichvielfältig, jeder der Kiez, -e (norddt., berlinisch)StadtteilKiez ist anders. Die Stadt überrascht mich immer wieder. Man kann hier mit wenig Geld gut leben. Ich wohne in einer die WG, -skurz für: Wohngemeinschaft = Gruppe von Personen, die zusammenwohntWG mit zehn anderen, fast alles Deutsche. Wir teilenhier: zusammen benutzenteilen alles. Einmal im Monat schreibt jeder auf einen Zettel, wie viel er für Essen ausgeben kann. Wer wenig Geld hat, zahlt weniger, und wer mehr hat, gibt mehr. In Berlin kann man sich sich entspannen≈ sich ausruhenentspannen. Menschen, die mittags mit einem Buch im Park sitzen: Das ist hier Teil der Stadtkultur! Die Berliner Unfreundlichkeit habe ich natürlich auch kennengelernt. Aber es ist irgendwie auch keine Überraschung, dass die Leute hier so rauhier: sehr direktrau sind – vor 30 Jahren gab es hier noch die Mauer. Unglaublich eigentlich.

     

    Yael Rozanes

     

     

    Yael Rozanes (26) kam im Sommer 2017 aus Israel nach Berlin. Die Schauspielerin arbeitet unter anderemneben anderen Dingenunter anderem als Stadtführerin, spielt im englischsprachigen Theater und auftretenhier: auf der Bühne stehentritt als Stand-up-Comedian auftretenhier: auf der Bühne stehenauf.

     

     

    „Das Berghain interessiert mich nicht“

    Alle reden immer vom Berliner Nachtleben. Mich interessiert das überhaupt nicht, ich war auch noch nie im Berghain. Ich bin eherhier: ≈ mehreher ruhig, gehe ein Bier trinken oder spiele mit meinem Sohn. Mir fehlen zwar die englischen Pubs. Aber ich habe ein paar nette Kneipen gefunden, wo es auch schottisches Bier gibt. Vielleicht sind die die Bedienung, -enhier: Kellner; KellnerinBedienungen nicht überall so freundlich – aber zu ernst nehmenhier: schlimm findenernst sollte man die die Berliner Schnauzeugs., neg.: Art der Berliner, zu sprechen (die Schnauze, -n: ≈ Mund (und Nase) beim Tier)Berliner Schnauze auch nicht ernst nehmenhier: schlimm findennehmen. Man muss in Deutschland sehr organisiert sein. Das ist manchmal sehr anstrengend, vor allem wenn man die Bürokratie kennenlernen muss. Wir Engländer sind eher ein bisschen chaotisch. Aber in London könnte ich nicht mehr leben, das ist mir zu teuer, zu voll, zu groß, zu anstrengend. Berlin ist so viel ruhiger. Man merkt eigentlich gar nicht, dass man in einer Hauptstadt ist.

     

    John Jones

     

     

    John Jones (28) hat aus Liebe zur deutschen Literatur Germanistik studiert. 2013 kam er aus London nach Berlin und hat sich gegen das Masterstudium und für seine zweite die Leidenschaft, -enhier: ≈ etwas, wofür man sich sehr interessiertLeidenschaft entschieden: Fisch. Inzwischen hat er seinen eigenen Laden in Pankow. Mit seiner Familie lebt er in Berlin-Wedding.

     

    Magisches Babylon Berlin

    Ein komplettes Heft über Berlin, die vielleicht widersprüchlichhier: so, dass es viel gibt, das nicht zusammenpasst; kontrastivwidersprüchlichste Stadt Deutschlands: Wir zeigen die Hauptstadt in all ihren Facetten: ihre hier: ≈ großer Erfolg; bester oder schönster Momentdie Höhe, -n: ,Höhen und ihre die Tiefe, -enhier: ≈ schlimmes Ereignis; schlimmster oder schlechtester MomentTiefen, ihren Dialekt und ihre Kultur, ihre Menschen und ihre Monumente. Sie können das Heft in unserem Shop kaufen.

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